Aufruf Juni 2024
Am Sonntag, den 9. Juni 2024, finden die belgischen Europa-, Bundes- und Regionalwahlen statt. Handeln Sie!n
Der Aufruf
2018 erlebte Belgien den heißesten Sommer seiner Geschichte und die Entstehung einer historischen Bürgermobilisierung für den Klimaschutz. Die Pandemie machte diesem demokratischen Elan einen Strich durch die Rechnung.
Im jahr 2023
Was hat sich im Jahr 2023 geändert? Nichts, oder fast nichts. Die Situation hat sich nur verschlechtert, durch mangelnde Mobilisierung der Bürger und politische Inaktivität. Eine Pandemie, historische Überschwemmungen, ein Krieg auf europäischem Boden, eine globale Energiekrise und der Aufstieg aller Faschismen – all diese Ursachen und Folgen werden durch den globalen Ökozid verschlimmert, der wiederum auf das Fehlen eines gerechten ökologischen Umstiegs zurückzuführen ist. Die Ungleichheit nimmt zu, die Demokratie ist in Gefahr, und wir zerstören die Bewohnbarkeit unseres Planeten. Wir tun nicht das, was getan werden muss um das Schlimmste zu verhindern, und wir sind nicht bereit uns mit dem auseinanderzusetzen was wir bereits nicht mehr verhindern können.
Belgien ist in diesem Sommer wie durch ein Wunder relativ glimpflich von den schrecklichen Hitzedomen verschont geblieben, die sich über die nördliche Hemisphäre legten und Hunderte Millionen Amerikaner, Südeuropäer, Nordafrikaner, Asiaten und Bewohner des Nahen Ostens hart trafen. Brutale Überschwemmungen, Windgeschwindigkeiten von über 200 km/h und faustgroße Hagelkörner verwüsteten Städte und Landstriche Europas. Extreme Temperaturen dezimieren die Meere und Ozeane. Viele Wissenschaftler sind schockiert über die Zunahme völlig abnormaler Phänomene und verzweifeln über die Trägheit, die immer noch auf der Erde herrscht.
Sie heulen in der Wüste. Der Planet den wir kannten existiert nicht mehr. Wir schlafen mit offenen Augen.
Wohlhabende Touristen die zu Millionen ans Mittelmeer fliegen werden in einer seltsamen Form von Klimavergeltung für ihre CO2-Emissionen bestraft. Doch während einigen ihr Urlaub verdorben wird, sterben andere. Immer mehr von uns finden sich in Alltagsgesprächen wieder, in denen niemand es wagt, die Katastrophen zu erwähnen, das Wort « Klima » auszusprechen oder eine Verbindung zu unserem massiven Verbrauch fossiler Brennstoffe, unserer industriellen Ernährung, unserer ständigen Mobilität, unseren schlecht isolierten Wohnungen und unserem übermäßigen Konsum herzustellen. Ein Gefühl des Wahnsinns macht sich breit. Noch nie zuvor wurden Umweltschützer und Aktivisten mit derartigen Vergeltungsmaßnahmen konfrontiert, selbst in Demokratien. Leugnung schlägt in Hass oder Zynismus um. Länder, die Opfer des Klimawandels sind, wählen immer noch klimaskeptische Parteien. Eine Aktion von Code Rouge mit 600 Aktivisten auf der Baustelle eines Gaskraftwerks von Engie sorgt für ein paar Kurzmeldungen und wird dann schnell von der Medienwalze vergessen. Greta Thunberg, die für ihren Einsatz für den Klimaschutz bereits mehrfach den Friedensnobelpreis hätte erhalten können, wurde von der schwedischen Justiz wegen ihres gewaltfreien Aktivismus verurteilt.
Wie viele Journalisten, die über Klimakatastrophen berichten, sprechen von « extremen Wetterereignissen », erwähnen aber systematisch weder die globale Erwärmung und ihre menschliche Ursache noch den grundlegenden Zusammenhang mit dem massiven Verbrauch von Öl, Gas und Kohle und der Entwaldung in unseren Volkswirtschaften sowie die überwältigende Verantwortung der petrochemischen Industrie, der Automobil- und Lebensmittelindustrie, der Bauwirtschaft, des Einzelhandels, der Werbung, der Digitaltechnik und des Massentourismus? Wie viele bringen diese fossile Nutzung mit unserem kapitalistischen, wachstumsorientierten, neoliberalen Wirtschaftssystem und dem übermäßigen Massenkonsum in unseren reichen Ländern in Verbindung? Der Fokus auf « die Emissionen » verwehrt uns eine politische Lesung der Realität. Man kann eine Blutung nicht stoppen, indem man das Blut fließen sieht, sondern muss die Organe operieren.
Angesichts dieser ökozidalen Logik haben wir die Wut zu leben und weigern uns zu schweigen. Wir werden bis zum Ende fordern, dass unser Recht auf Leben respektiert sei.
Deshalb wollen wir mit diesem Appell die Klimadringlichkeit wieder in den Mittelpunkt der belgischen und europäischen öffentlichen Debatte stellen.
Wir fordern erneut dass der Klimanotstand von allen Parlamenten des Landes ausgerufen wird, dass die Regierungen eine allgemeine Mobilisierung für eine « Kriegswirtschaft » organisieren, die in der Lage ist unsere Treibhausgasemissionen drastisch zu reduzieren, und zwar schon in diesem und jedem weiteren Jahr, bis wir unseren gerechten Anteil an den weltweiten Anstrengungen als eines der reichsten und am meisten verschmutzenden Länder der Welt erfüllen.
Unmerklich gleiten wir in eine Politik der « Anpassung an die globale Erwärmung » ab, die wortlos auf die dringend notwendige Einstellung der Emissionen fossiler Treibhausgase verzichtet. Es gibt keine Politik zum Abbau der Auto-, Luftfahrt- und Lebensmittelkomplexe, der Bebauung und Zubetonierung von Land, des Hyperkonsums und der Massenwerbung. Nichts oder fast nichts über den gerechten Übergang dieser Sektoren zu nachhaltiger Mobilität und Ernährung, massiver Isolierung, Betonstopp, abnehmendem materiellen Konsum und aufgeklärter Information. Nichts oder fast nichts über die schnelle Einführung von grundlegenden, nachhaltigen und gerechten Universaldiensten für Mobilität, Wohnen, Essen, Trinken, Gesundheitsfürsorge, Ausstattung, Information und demokratische Teilhabe. Nun werden wir den Kollaps aber nicht dadurch verhindern, dass wir hier und da ein paar kleine Elemente hinzufügen oder verändern. KEINE Anpassungsstufe wird einer globalen Erwärmung standhalten können, die nicht durch die sofortige Demontage und den gerechten Übergang der fossilen Industrie eingedämmt wird.
Darüber hinaus verlieren sich viele Bürger, die sich der klimatischen Dringlichkeit bewusst sind, in Ökogesten, individuellen Wohlfühlpraktiken und kleinen lokalen Initiativen, die zwar interessant sind, sie aber angesichts des kollektiven Kampfes, der zur Zerschlagung des fossilen Komplexes geführt werden muss, völlig entpolitisieren. KEINE individuelle oder lokale Initiative wird der anhaltenden Expansion der fossilen Industrie standhalten. Die Priorität liegt nicht im resignativen Rückzug, sondern in der kollektiven Sammlung, um den Kampf auf politischer und institutioneller Ebene zu führen.
Schließlich zersplittern die progressiven Bewegungen ihre Kräfte noch immer auf zahlreiche, sicherlich legitime und wesentliche Anliegen wie Migration, Feminismus, Armut, Minderheitenrechte, Gleichheit, Demokratie usw., ohne zu begreifen, dass die Klimanotlage die Lage völlig verändert. Wenn der Klimanotstand nicht als DIE oberste Priorität behandelt wird, wird er früher oder später ALLE ihre Bemühungen neutralisieren und zunichte machen.
Die Klimanotlage wird de facto zur ersten Notlage für Migranten, Frauen, Arme, Minderheiten, Gleichheit, Demokratie usw.
Die intersektionale Logik des Konzepts eines gerechten, unerlässlichen Übergangs, kann die offensichtliche Tatsache nicht leugnen, dass es auf einem toten Planeten keine Gerechtigkeit mehr geben wird. Die Klimadringlichkeit muss daher DIE absolute Priorität aller progressiven Bewegungen werden, die sich viel stärker zusammenschließen müssen, wenn sie Einfluss auf den historischen Kurs nehmen wollen. Ein gerechter Übergang sichert die Bewohnbarkeit des Planeten UND entfaltet soziale Gerechtigkeit INDEM er die Demokratie stärkt. Eine Koalitionsstrategie muss formuliert werden. Gespalten und verstreut, ohne eine strategische Vision für einen gerechten und demokratischen ökologischen Übergang, lassen wir de facto die Ökozidenten herrschen, die ihrerseits seit 50 Jahren sehr gut organisiert sind.
Von nun an reimen sich Freiheit und Gerechtigkeit auf Ökologie.
Wir wissen, wir können, wir müssen. Es liegt im Interesse des Landes, aller und jedes Einzelnen. Wir haben keine Ausrede mehr, es nicht zu tun.
Deshalb fordern wir die Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahlen 2024 auf, öffentlich ihre Unterstützung für eine Politik der jährlichen Abnahme der Treibhausgasemissionen im Einklang mit dem Stand der Wissenschaft zu bekunden, ebenso wie ihre Verpflichtung, auf allen Ebenen der Macht folgendes verabschieden zu lassen sobald sie ihr Amt antreten:
1) eine formelle Erklärung des Klimanotstands und die Mitteilung dieser Erklärung an die gesamte Bevölkerung;
2) eine allgemeine Mobilisierung der öffentlichen Hand und der Gesellschaft;
3) eine Politik des Abbaus der fossilen Industrie und eines gerechten Übergangs der Wirtschaft;
4) die Einrichtung einer deliberativen wissenschaftlichen Kammer mit echten Befugnissen, um den wissenschaftlich vernünftigen Charakter des Übergangs zu gewährleisten;
5) die Einrichtung einer beratenden Bürgerkammer mit echten Befugnissen, um den fairen und demokratischen Charakter des Übergangs zu gewährleisten;
6) die Schaffung zusätzlicher regulatorischer und finanzieller Garantien zur Neuausrichtung der Pressefreiheit;
7) die Finanzierung der vorstehenden Punkte durch angemessene Mehrjahreshaushalte.
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